Opposition in der DDR

Ein Zeitzeuge berichtet in seinem ehemaligen Gefängnis

Ein fester Bestandteil für die Klassenstufe 10 ist in Geschichte der Besuch der Gedenkstätte "Bautzner Straße" geworden. Hier wird eindrucksvoll an originalen Orten der Umgang mit der Opposition seitens der DDR-Regierung gezeigt. Besonderer Höhepunkt ist dabei, dass die Führungen durch Betroffene geschehen, die in bewegender Art und Weise ihr Schicksal den Schülern näher bringen. Einer davon ist Jürgen Gottschalk. Über ihn schreibt Elias, Schüler der 10. Klasse folgende Biografie und formuliert nicht nur einen Lebensbericht über einen bemerkenswerten Menschen, sondern auch ein Bekenntnis zur Demokratie und Heimat:

Jürgen Gottschalk

Der 1951 in Dresden geborene Jürgen Gottschalk wuchs in einem sozialistisch geprägten Elternhaus auf. Obwohl seine Eltern sehr überzeugte Genossen waren, hatte er schon früh sein erstes „Erweckungserlebnis“, bei dem er erkannte, dass die sozialistische Welt ihm doch nicht so gut gefällt, wie seinen Eltern. Zu Beginn des Mauerbaus 1961 zum Beispiel war er gerade mal 10 Jahre alt, als ihm die Angst und die Unzufriedenheit der Menschen auffiel.

Seine Eltern hingegen waren begeistert von der Mauer, da sie sich darüber freuten, dass es so weniger Republikflüchtlinge geben sollte.

Gottschalks Eltern war die DDR sogar so wichtig, dass ihm seine Mutter zu Beginn seiner Lehre in Ost-Berlin androhte: „Solltest du unserer Republik den Rücken kehren, bist du nicht mehr unser Sohn!“ Zur Zeit seiner Lehre sammelte Gottschalk Flugblätter, die seitens der BRD, durch z.B. Ballons, in die DDR transportiert wurden. Er machte sich mit seinen Freunden einen Spaß daraus, sie zu tauschen. Als er einmal mehrere Flugblätter in seinem Koffer mit in die Heimat, zu seinen Eltern nach Dresden, genommen hatte, entdeckte sein Vater diese und verriet seinen eigenen Sohn umgehend an die Staatssicherheit. Bei der Vernehmung wurde Jürgen Gottschalk angeboten, als IM (Innoffizieller Mitarbeiter) für die Stasi zu arbeiten.

Dieses Angebot lehnte er allerdings ab, da er sich geschworen hatte, niemals für die Stasi zu arbeiten. Als er nach seiner Lehre zurück nach Dresden kam, lernte er einen Fotografen aus Darmstadt kennen. Mit diesem hielt er ständigen Briefkontakt und es kam zu einer erneuten Begegnung in Dresden. Durch ihn erfuhr Gottschalk über die damalige Art des Siebdruckes. Nach dem Besuch wollte Gottschalk mehr über diese Art des Druckes erfahren. Deshalb wendete er sich an die Kontakte, die ihm sein Freund aus Darmstadt gegeben hatte.

Mit der Zeit kam er in ein „Postkarten-Netzwerk“, in dem er und seine Mitstreiter Alltagskritik zum Ausdruck brachten. Durch Postkarten, in denen er die DDR und die SED kritisierte geriet er erneut in den Fokus der Stasi. Er erhielt Berufsverbot als Kunstarbeiter, ließ sich allerdings trotzdem nicht davon abhalten, weiterhin Postkarten zu erstellen. Trotzdem ging er, gemäß der Vorschrift, zum Arbeitsamt um sich einen neuen Beruf anbieten zu lassen. Als ihm die Mitarbeiter der Stasi schon Gefängnisstrafen androhten, da er kein Jobangebot annehmen wollte, erklärte Gottschalk ihnen, dass er eine eigene Werkstatt habe und gar nicht verstehe, warum er zwei Berufe ausüben sollte. Auch wenn ihm die verdutzten Blicke der Mitarbeiter bis heute in Erinnerung geblieben sind, war es im Nachhinein nicht gut für ihn, dass er der Stasi über seine Werkstadt erzählt hatte. Als er nämlich erneut, trotz eigentlichem Arbeitsverbot, Postkarten anfertigte, zwang ihn die Stasi dazu, seine Werkstadt zu verkaufen. Im Nachhinein erfuhr er durch das Lesen seiner Stasiakten, dass er seine Werkstadt an einen IM-Spitzel der Stasi verkauft hatte. Dadurch kannte die Stasi die bezahlte Summe, und Gottschalk wurde zu einer Kautionszahlung in dieser Höhe aufgefordert. Durch diese Eingriffe der Stasi verlor Jürgen Gottschalk seine Existenz.

Wegen seines Berufsverbotes und dem Existenzverlust stellte er einen Ausreiseantrag, um die DDR zu verlassen. Als er noch ein sicheres Einkommen hatte, hatte er nicht darüber nachgedacht, auszureisen, da er zwar unzufrieden war, er allerdings Dresden zu sehr liebte, um die Stadt zu verlassen. Durch sein Berufsverbot war ihm allerdings klar, dass es für ihn der richtige Schritt sein sollte, Dresden den Rücken zu kehren. Er wandte sich von seiner Familie ab, da diese nicht mit ihm kommen wollte. Von seiner Frau ließ er sich scheiden, da sie keine Probleme durch seine mögliche Ausreise bekommen sollte. Sein Ausreiseantrag wurde allerdings abgelehnt.

Als er später aus einem Urlaub zurück kam erwarteten ihn zuhause mehrere Briefe. In einem dieser Briefe erfuhr Gottschalk, dass seine Ausreise doch zugelassen wurde und er wurde über verschiedene Anlaufstellen informiert, bei denen er sich vor seiner Ausreise melden müsse.

Eines Tages wurde Gottschalk separat auf seine Dienststelle gerufen um angeblich über seine Ausreise zu sprechen. Allerdings erwartete ihn kein Gespräch mit dem Chef, sondern die Stasi, die ihn umgehend abführte. Außer einem guten Freund, der durch Zufall die Abführung sah, bekam das kein anderer Mensch mit, da alle anderen Besucher und Mitarbeiter in Meetings gerufen wurden, damit sie nichts von der Szenerie mitbekommen. Gottschalk wurde gemeinsam mit einem anderen Freund verhaftet und an der Bautzner Straße in U-Haft gesteckt. Die Gefangenentransporter und die Zufahrt zur U-Haft waren bewusst total abgeschirmt, damit es keinen Kontakt oder bloßen Blickkontakt zu Passanten geben konnte.

Die Zeit in der U-Haft prägte ihn sehr und er bekommt noch heute bei Alltagsgeräuschen der Haftzeit (wie z.B. dem Verriegeln der Tür) Gänsehaut. Er war anfangs sehr eingeschüchtert, da er Angst davor hatte, dass die Wärter ihm gegenüber Gewalt anwenden könnten und da er dadurch verunsichert war, dass die Wärter alle 10-15 Minuten durch den Spion in die Zelle schauten.

Nachdem er die ersten Monate in einer drei Mann Zelle verbringen musste, erreichte er durch einen imitierten Hungerstreik, in eine Einzelzelle verlegt zu werden.

Nach ca. einem halben bis dreiviertel Jahr wurde er vor Gericht gestellt. Der ihm zugewiesene Anwalt sagte ihm nur, dass er entweder gar nicht oder nur sehr kurz antworten solle. Außerdem verriet ihm sein Anwalt aus versehen, dass das Urteil sowieso schon gesprochen sei. Er wurde wegen „Öffentlicher Herabwürdigung“ zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und zwei Monaten verurteilt. Vor der Verlegung in das Gefängnis nach Berlin verbrachte er noch weitere 6 Wochen in U-Haft. Im Gefängnis in Brandenburg fürchtete er sich nicht mehr vor den Wärtern, sondern vor den Mithäftlingen, da er dort nicht mehr nur mit Gefangenen, denen ähnliche Strafdelikte wie ihm vorgeworfen wurden, sondern auch gemeinsam mit Mördern in einer Zelle saß, die vor angriffen auf Mithäftlingen zurückschreckten.

Nach einem Jahr und zwei Monaten wurde er von der BRD für eine Summe von ca. 50.000DM freigekauft und er konnte das Gefängnis verlassen. Er wurde mit weiteren freigekauften Gefangenen in einem Lader über die Grenze nach West-Berlin gefahren und beschreibt auch heute noch diesen Tag, als den schönsten seines Lebens.

Nach der Wende beschäftigte er sich intensiv mit seiner Vergangenheit. Direkt nach dem Fall der Mauer machte er sich auf den Weg um seine Freunde in Dresden zu besuchen. Die Reise nach Dresden fühlte sich für ihn wie eine Zeitreise um Jahre zurück in die Vergangenheit an.

Er sichtete seine Stasi Akten und fand so heraus, dass sich in seinem früheren Bekannten- und Kollegenkreis 20 IM’s befanden.

Er suchte auch das Gespräch mit seinen Eltern. Allerdings brach er den Kontakt zu seinem Vater nach dem Tod seiner Mutter ab, nachdem dieser ihm sagte: „Für uns warst du ein Kapitalist“.

Er zog später wieder nach Dresden, wo er heute noch lebt. „Einmal Dresdner, immer Dresdner“.

Hen, 24.06.2018