Titelverleihung Schule mit Courage

Ein Siegel für Courage

Schüler wollen nicht mehr wegsehen

Vor einigen Wochen haben wir den Titel »Schule ohne Rassismus« bekommen. Die Kultusministerin war da, und ich habe als Schüler eine Rede gehalten. Ich habe gesagt, dass es an der Schule nicht mehr toleriert wird, wenn jemand fremdenfeindlich ist oder etwas gegen Flüchtlinge hat. Wir wollen niemanden ausgrenzen, keinen mobben, nicht mehr wegsehen, wenn es zu Anfeindungen und Rassismus kommt. Wir haben insgesamt 50 Flüchtlingskinder an der Schule, 25 davon sind schon in die einzelnen Klassen integriert. An unserer Schule hat es noch nie Beleidigungen oder Ausschreitungen gegeben. Wir spielen und lachen und lernen gemeinsam. Das ist für uns selbstverständlich. Wir machen keine Unterschiede. Um »Schule ohne Rassismus« zu werden, mussten 70 Prozent aller Schüler und Lehrer unterschreiben und damit einverstanden sein, dass wir uns um diesen Titel bewerben. Es haben rund 75 Prozent unterschrieben. Die Initiative ging vom Schülerrat aus. Einige Mitschüler waren dagegen, dass noch mehr Flüchtlinge in die Schule oder nach Kamenz kommen. Die ließen auch nicht mit sich reden.In unserer Schulordnung gibt es einen Vermerk, dass jegliche fremdenfeindlichen, gewaltverherrlichenden und verfassungsfeindlichen Symbole untersagt sind. Das Tragen von Springerstiefeln ist nicht erlaubt. Ich selbst habe einen türkischen Vater; wegen meines fremdländischen Aussehens bin ich in Kamenz aber noch nie angegriffen worden. Als mein Vater nach Deutschland kam, war er 21. Er hat mir erzählt, wie schwer es für ihn war, hier anzukommen und kein Wort zu verstehen. Daran muss ich oft denken, wenn ich jetzt versuche, mich mit den Flüchtlingen zu verständigen. Oft geht das nur mit Händen und Füßen, aber das ist egal. Und beim Fußball spielt es sowieso keine Rolle, welche Sprache man spricht.

Mehmet Celik, 15 Jahre, 8. Klasse der 2. Oberschule Kamenz

 

Artikel der Sächsischen Zeitung Kamenz vom 29.09.2015

Raiana Edieva aus Tschetschenien spricht schüchtern ins Mikrofon. Aber deutlich. Während sie redet, verstummen die Gespräche in der Turnhalle der 2. Oberschule. Das Mädchen erzählt von sich. Und ihrem neuen Leben in Kamenz. Heute ist nämlich ein besonderer Tag für die Schüler. Heute bekommen sie ein Siegel – als Schule ohne Rassismus. Als Schule mit Courage. Auch Raiana. Denn sie ist Teil davon. Wie 50 weitere junge Asylbewerber aus Kamenz. Das Netzwerk für Demokratie und Courage ist extra für die Übergabe angereist. Und die Patin des Projektes, Kultusministerin Brunhild Kurth. Seit März 2014 lernt Raiana hier. „Zuerst hatte ich Angst, herzukommen. Denn ich konnte überhaupt kein Wort Deutsch“, erinnert sie sich. Das Mädchen strandet wie viele andere mit ihren Eltern im Heim an der Macherstraße. In Tschetschenien herrscht damals wie heute eine alles verschlingende Angst. Die Tschetschenen fürchten, offen zu sprechen. Nach zwei Kriegen zwischen teils islamistischen Separatisten und der russischen Zentralregierung liegt vieles brach in der autonomen Republik. Frauen haben wenig Rechte, die Bildung ist am Boden, Städte sind immer noch zerstört. Auch wenn der Aufbau begonnen hat. Raiana geht mittlerweile in die achte Realschulklasse. Hat gute Zensuren, keine Fehltage und Freunde gefunden. Anfangs war es schwierig in der Deutsch­als­Zweitsprachen­Klasse (DaZ). „Vor allem der pünktliche Unterrichtsbeginn war für uns Kinder aus dem Heim ein Problem“, erzählt sie. Zusammen mit Irakern, Afghanen und Syrern kommt sie nun täglich her. Um Wissen aufzusaugen. Und auch, um ein Stückchen Normalität zu leben. Mit Gleichaltrigen. Kürzlich fuhren alle nach Belantis. Raiana wollte zuerst nicht mit. Doch dann war sie begeistert vom Erlebnispark. Simon Gill aus der 6 a hat ebenfalls etwas zu erzählen. Der Pole durchlief auch die DaZ­Klasse. „Ich war ein bisschen zu ruhig am Anfang, aber heute habe ich viele Freunde“, sagt er. Er erinnert sich noch genau an seinen ersten Schultag 2013. Damals zog er sich extra ein weißes Hemd an und die anderen guckten ihn schon komisch an zur Begrüßung in der Turnhalle. „Ich war das aber so aus meiner Heimat gewohnt gewesen“, lacht Simon heute. Mittlerweile kann er gut Deutsch. Und hilft sogar anderen dabei, die Sprache auch zu beherrschen. Wie Ali. Seine Mitschülerin Leonie erzählt davon. Und dass in ihrer sechsten Klasse alle gut miteinander könnten. „Es ist wichtig, dass wir aufeinander zugehen“, sagt die Kamenzerin. Alle! Deutsche auf Deutsche. Migranten auf Migranten. Migranten auf Deutsche. Und umgekehrt. Weitere Projekte geplant Auch Michelle aus der 8 b kann das bestätigen. „Wichtig ist doch, dass wir als Klasse zusammenwachsen“, meint sie. Nur so macht Lernen Spaß. Für die Jugendlichen scheint es sowieso nichts Großartiges zu sein, dass man hier an der 2. Oberschule gemeinsame Sache macht. Seit Mitte der 90er­Jahre ist das so. Da kamen die ersten Russlanddeutschen in Kamenz an. Seitdem ist das Haus an der Saarstraße bunt. Und seit letztem Freitag kann man das nun ganz offiziell am Eingang lesen. Das schwarzweiße Schild spricht seine eigene Sprache. „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ ist eine Initiative von Schülerinnen und Schülern, die sich aktiv gegen jede Form von Diskriminierung einsetzen wollen. Einige sächsische Einrichtungen haben das Siegel schon. Die 2. Oberschule bewarb sich letztes Schuljahr darum. Schickte auch gleich eine lange Unterschriftenliste mit, auf der die komplette Schüler­ und Lehrerschaft sich gegen Rassismus, Fremdenhass und für gegenseitigen Respekt und Zivilcourage ausspricht. Matthias Brauneis vom Netzwerk freut sich trotzdem besonders, dass Kamenz nun dabei ist. „Hier gibt es einen besonders großen Prozentsatz an jungen Asylbewerbern im Gegensatz zu anderen Kommunen“, weiß er. Und er weiß, dass echte Integration nur hier beginnen kann. In der Schule!  Viel wird an der Saarstraße schon dafür getan. In Punkt eins der Schulordnung heißt es: Die Würde und Einmaligkeit des anderen ist zu achten!“ Und das Tragen fremdenfeindlicher Symbole oder gar Springerstiefel ist hier verboten! Es soll künftig weitere Projekte zum Thema Integration geben. Auch ein Schüler­Diskussions­Forum ist angedacht. Das Netzwerk freut sich auf all diese Aktivitäten. Auch Kultusministerin Brunhild Kurth, die als Patin angetreten ist. In der Lessingstadt hält sie an diesem Vormittag eine flammende Rede. „Danke, dass Ihr Gesicht zeigt“, sagt sie den Schülern. „Und danke, dass hier Schule über das normale Maß hinaus gelebt wird“, ruft sie den Lehrern zu. „Ich will die Angst um uns herum nicht mit Worten wegwischen“, so Brunhild Kurth. „Aber wenn Angst in Hass umschlägt, wie derzeit mancherorts, dann müssen wir etwas dagegen tun!“ Leonie, Raiana, Simon, Memmet, Emma, Ali, Michelle und die anderen gehen es an. Gemeinsam. Tag für Tag. In Kamenz. Ganz normal.

--> Artikel des Mitteilungsblattes Kamenz