Werner-Heisenberg-Gymnasium-Riesa 

Detaillierte Projektbeschreibung

Kandinsky 2.0 aus Sicht der Kunst

„Kunstwerke sind keine statischen, leblosen und ruhigen Gebilde. Die Kunst hat viel mit Musik gemeinsam. Sie kann Ausdrucksmittel der Gefühle sein und unmittelbar Einfluss auf Zuschauer beziehungsweise Zuhörer nehmen.“ (Wassily Kandinsky, russischer Maler, Grafiker und Kunsttheoretiker, 1866-1994)

Kandinsky 2.0 – eine Synthese von Kunst, Musik und autonomer Robotik

Die inhaltsleeren Nachahmungstheorien, von denen unsere Ästhetik zeitweise nie loskam, haben uns teilweise blind gemacht für die eigentlichen psychischen Werte, die Ausgangspunkt und Ziel aller künstlerischer Produktion sind. Es existiert allerdings etwas Übernatürliches, das die Kunst in ihrem gesamten Umfang umfasst – diese Auffassung steht in Verbindung mit der Erkenntnis, dass all unsere künstlerischen Produktionen nichts anderes sind als andauernde Wahrnehmung des Auseinandersetzungsprozesses, in dem sich Mensch und Umwelt bereits seit Anbeginn der Schöpfung und auch zukünftig befinden - von der Steinzeit bis heute und auch in Zukunft.

Wir werden also von unserer Umwelt geprägt, wobei die erste Sinneswahrnehmung bereits im Mutterleib erfolgt – das Hören. Dieser Sinn prägt den Menschen von Beginn an.

Für Kandinsky ist die Musik in gewisser Weise eine Vorreiterin der Malerei. Ihr großer Vorteil besteht darin, dass sie losgelöst und frei von einem Vorbild erschaffen werden kann. Das Gleiche wünscht er sich auch für die Malerei, sie soll frei und aus sich selbst heraus entstehen. Mithilfe dieser Loslösung von vorgegebenen Formen und Mustern rückt die Farbe als wesentliches Element in den Betrachtungsfokus. So sollen auch die Eigenschaften und der Klang jeder einzelnen Farbe besser zur Geltung kommen. Kandinsky enthebt die Farbe ihrer bloßen Funktion als Mittel. Er stellt fest, dass sie einen direkten Einfluss auf die Seele des Betrachters nehmen kann. „Die Farbe ist die Taste. Das Auge ist der Hammer. Die Seele ist das Klavier mit vielen Saiten“ und der Künstler ist die Hand, welche durch diese oder jene Taste zweckmäßig die menschliche Seele in Vibration bringt.

Es kommt also weniger darauf an, etwas naturgetreu abzubilden, als vielmehr etwas Einzigartiges zu erschaffen. Eine Loslösung von realistischen Abbildungen zugunsten der Formen und Farben ist deshalb notwendig.

Ähnlich haben dies bereits Johannes Itten und Wassily Kandinsky in der Bauhauslehre begründet.

Die Farbe Rot stellt für Itten die körperhafte Materie dar. Sie wirkt statisch und schwer. Er ordnet deshalb der Farbe die statische Form des Quadrates zu. Gelb zeigt sich kämpferisch und aggressiv, besitzt einen schwerelosen Charakter und steht bei Itten für den Geist und das Denken. Diesem Charakter entspricht das Dreieck. Die Farbe Blau dagegen wirkt für Itten rund, erweckt ein Gefühl der Entspanntheit und Bewegung und steht für den "in sich bewegten Geist", wie er sich ausdrückt. Der Kreis entspricht der Farbe Blau, da er ein Symbol der "stetigen Bewegung" darstellt. Itten übertrug diese drei Farbcharaktere in seiner so genannten Farbtyplehre später auf die menschlichen Charaktertypen und die damit verbundenen, wie er meinte, erklärbaren Farbpräferenzen eines jeden Menschen. Kandinsky verfolgte dies weiter und stellte den drei Basisfarben dreidimensionale Körper gegenüber: Aus dem Quadrat entstand ein roter Kubus, aus dem Dreieck eine gelbe Pyramide und dem Kreis entspricht in seiner räumlichen Konsequenz die blaue Kugel.

Als Synästhetiker belegte Kandinsky die Farben nicht nur mit Charakteren, er konnte sie auch hören. So klingt die Farbe Gelb für ihn in hohen und durchdringenden Tönen, die Gegenfarbe Blau jedoch tief und dunkel. In seinen abstrakten, farbigen Bildern stellte er eine Verbindung zwischen Musik und Farben her. Sie fordern den Betrachter dazu auf, Analogien in Gehörtem zu finden. Der Maler wählte für seine Werke Titel wie "Konzert" und "Fuge" oder nannte seine Serien "Komposition und Improvisation". Man geht davon aus, dass viele dieser Bilder die Farbempfindungen Kandinskys beim Hören von Musikstücken widerspiegeln.

Die gegenseitige Unterstützung von Form- und Farbgebung entsprang dem Wunsch Kandinskys, gültige Gestaltungsprinzipien zu finden, die in Kunst und Design universell anwendbar waren und wirkungsvolle Kommunikationsmittel darstellten. Im Bauhausunterricht fanden die Theorien über den Zusammenhang von Farbe und Form zahlreiche Umsetzungen in Grafikdesign und Innenarchitektur, zum Beispiel in der Anwendung grafischer Orientierungssysteme, im Plakatentwurf, der Wandgestaltung und im Möbeldesign.

Alle figurativen Elemente werden wie von einer unwiderstehlichen Flut hinweggeschwemmt, die aus dem befreiten Unterbewusstsein hervordrängt. Kandinsky weitet den Bildraum durch irrationale gegenstandsfreie Farben ins Unendliche aus, stößt in abstrakte Tiefen vor und kehrt dann sofort wieder in die vorderste Bildebene zurück. Wenn man eben die Bilder dieses Botschafters der Moderne betrachtet, wird einem klar, wie aufregend die Wiedergeburt der Kunst aus dem Geist der Moderne damals erschienen sein muss.

Deswegen stellt sich die Frage - Sind Roboter heutzutage und auch in Zukunft vielleicht die zeitgenössischeren Hipster bzw. Künstler?


--- Claudia Böhmert

Kandinsky 2.0 aus Sicht der Informatik

Im schulischen Umfeld lässt sich die Idee des nach der Art Kandinskys zeichnenden Roboters technisch am besten mit den „Lego Mindstorms“-Robotern umsetzen. Diese sind optimal für den Einsatz im Unterricht geeignet, da die im Robotik-Bereich anzutreffenden, für Schüler nicht zu bewältigenden Probleme weitestgehend umgangen werden.

Dabei ermöglicht die Grundidee der Lego-Bausätze eine spielerisch-experimentelle Herangehensweise dank der Möglichkeit, Bauteile in unterschiedlichster Form zu kombinieren und somit schnell und ohne Werkzeug den Aufbau eines Roboters zu ändern.

Außerdem bietet der programmierbare EV3-Stein von Lego die Möglichkeit, bis zu vier Motoren und bis zu vier Sensoren anzuschließen, und die grafische Programmierumgebung von LabView erlaubt eine einfache Ansteuerung der Roboter und einen unkomplizierten Zugriff auf die Sensordaten. Bezüglich der Programmierung in LabView ist anzumerken, dass diese durch ihre grafische Benutzeroberfläche besonders schülergerecht ist und selbst  jüngeren an der Informatik interessierten, aber noch unerfahrenen Schülern, einen kind- und jugendgerechten Zugang zur Robotik und Informatik ermöglicht.

Des Weiteren lässt sich der avisierte Zeichenroboter durch einen Differenzialantrieb präzise und mit einem sehr kleinen Wendekreis fast beliebig ansteuern. Er kann sich vorwärts sowie rückwärts bewegen und in Kreisen beliebiger Radien wenden. Dabei ist der Roboter  vorderradgetrieben und kommt mit lediglich zwei Antriebsmotoren aus, welches die Komplexität der Antriebssteuerung stark reduziert. Bewiesen wurde die Realisierbarkeit des Fahrgestells mit dem beschriebenen wendigen Antrieb bereits im Rahmen der Spitzenförderung Informatik am WHG Riesa.

Insofern besteht die größere Herausforderung wahrscheinlich darin, den Roboter mit Stiften unterschiedlicher Farben und Linienbreite auszustatten und einen fließenden Wechsel zwischen den Zeichengeräten ohne Notwendigkeit einer menschlichen Intervention zu erlauben. Dabei ist zu beachten, dass die Stifte in der benötigten Diversität keine standardisierte Geometrie besitzen und sich insbesondere nicht ohne weiteres mit Lego-Bauteilen verbinden lassen. Es ist vorgesehen, den Stiftbetrieb mit zwei weiteren Motoren zu realisieren. Deshalb dient ein Motor dem Stiftwechsel und ein weiterer dem Heben und Senken des Stiftes, sodass der Roboter auch fahren kann ohne zu zeichnen. Im Projekt werden verschiedene Möglichkeiten der Stifthalterung evaluiert.

Das Besondere am Kandinsky-Roboter ist seine Fähigkeit, auf die Umwelt zu reagieren und seine Sinneseindrücke zu Papier zu bringen. Somit ist die Ausstattung mit Sensoren von ebenso großer Bedeutung wie die Bestückung mit Motoren. Im Rahmen des Projektes werden unterschiedliche Sinneswahrnehmungen ausgewertet.

Zielführend ist dabei, dass der Roboter seine Kunst nicht allein erschaffen soll, sondern spontan auf die Handlungen und Vorgaben der ihn umgebenden Menschen eingehen soll, sodass jedes Mal ein neues und einzigartiges Werk erschaffen wird und auf diese Art der allen Computern immanente Determinismus umgangen wird. Unserer Meinung nach lässt sich erst ein auf diese Art erschaffenes Werk als Kunst bezeichnen.

Bei der schon besprochenen Kombination aus Musik und Kunst ist die Verwendung eines akustischen Sensors, sprich eines Mikrofons von essentieller Bedeutung. Dank dieses Sensors ist der Roboter in der Lage, beispielsweise unterschiedlich hohe Frequenzen in unterschiedlichen Bildelementen umzusetzen und auch laute und leise Umgebungsgeräusche zu differenzieren.

Mithilfe des beim EV3-Set mitgelieferten Infrarot- und Entfernungssensors lässt sich auf intuitive Art eine noch komplexere Interaktion mit den Menschen realisieren. Die mitwirkenden Personen können mit Handbewegungen, durch das Durchschreiten der Zeichenleinwand oder mittels von in der Hand gehaltenen Infrarotsendern dem Roboter Anweisungen zu erteilen ohne ihn berühren, geschweige denn programmieren zu müssen.

Ebenfalls im EV3-Standardpaket enthalten ist ein Farb- und Helligkeitssensor. Mit diesem sieht der Roboter, was er schon gezeichnet hat, und er kann sein weiteres Vorgehen abhängig vom schon Erschaffenen machen.

Im Rahmen des Projektes ist die Evaluierung weiterer weniger offensichtlicher Sensoren angedacht, beispielsweise ein passiver Infrarot-Bewegungsmelder (PIR-Sensor), ein Kraftsensor, ein Magnetfeldsensor, ein Kompass oder ein flexibler Biegesensor. Sollte sich eine Vielzahl an Sensoren als zielführend erweisen, so ist die Erweiterung des Roboters auf bis zu drei miteinander kommunizierende Steine notwendig, da jeder Stein nur über vier Sensoreingänge verfügt.

Angesichts des schnellen Prozessors des EV3-Steins in Verbindung mit einer großzügigen Ausstattung mit Hauptspeicher kann der Roboter komplexe Berechnungen anstellen, zügig auf Umwelteinflüsse reagieren und sich eine detaillierte Umweltkarte aufbauen, um so deutlich mehr zu erreichen als lediglich passiv auf Umwelteinflüsse zu reagieren – um zu einem wahren Künstler zu werden, der in fruchtbarer Zusammenarbeit mit den Menschen in seiner Nähe neue Kunstwerke erschafft, ganz im Sinne Kandinskys.

Über das Projektende hinausgehend streben wir an, das Thema in einer fachübergreifenden AG und innerhalb der Spitzenförderung Informatik weiter zu verfolgen. Weiterhin soll das Projekt als Ausgangspunkt für die Implementierung eines Wahlpflichtgrundkurses „Kunst, Wissenschaft und Technik“ in der Oberstufe fungieren, in dessen Rahmen die ethisch-philosophischen Problemstellungen der künstlichen Intelligenz im Kontext gesellschaftswissenschaftlicher Fragen erörtert werden.


--- Michel Waringo, Jöran Zill