Schulprojekt berufliche sprachliche Bildung

Schulentwicklung 101. Oberschule

Ausgangssituation

Bedarfslage der 101. Oberschule „Johannes Gutenberg“

Die Ausgangsituation ist seit letztem Jahr weitgehend unverändert: Mehr als 70% der Schüler*innen in der 101. Oberschule haben einen Migrationshintergrund. An der Schule lernen Schüler*innen mit ca. 35 unterschiedlichen Nationalitäten. Das gegenwärtige Schulsystem geht davon aus, dass Schüler*innen von einer vorwiegend deutsch-sprachigen Familie oder familienähnlichen Struktur unterstützt werden. Die gesellschaftliche Entwicklung am Standort zeigt aber eine andere Realität. Viele Schüler*innen können mangels sprachlicher Fähigkeiten der Eltern nicht von ihrer Familie unterstützt werden, manche von ihnen (etwa unbegleitete minderjährige Asylbewerber) auf überhaupt keine familiären Unterstützungsstrukturen zurückgreifen. Ein Teil der Schüler*innen weist eine stark unterbrochene Schulbiografie auf oder ist überhaupt noch nicht durch Schule sozialisiert worden. Häufig ersetzen staatliche Ersatzstrukturen (z.B. Vormund, Bezugsbetreuung, WG) die klassische Familie. Die betroffenen Schüler*innen haben nicht selten mit großen sozialen und psychischen Problemlagen zu kämpfen, ein Teil beansprucht sonderpädagogischen Förderbedarf mit verschiedensten Schwerpunkten.

Wie bereits mehrfach dargestellt, werden die personellen, administrativen und infrastrukturellen Rahmenbedingungen den Herausforderungen bislang nicht gerecht. Hinzu kommt, dass Schüler*innen mit wenig Unterstützung aus dem sozialen Umfeld aufgrund fehlender Vorbilder, Motivation und Bildungskontakte die bestehenden Möglichkeiten oft nicht nutzen können. Die staatlichen Unterstützungssysteme agieren häufig zu wenig im Verbund und zu langsam, um dem effektiv entgegenwirken zu können.

Beschlusslage|Umsetzung

Im Mai 2018 entstand ein Strategiepapier zur Entwicklung des Standortes Pfotenhauerstraße 40|42 als Ergebnis des Auseinanderprozesses zum Thema Modellversuch „Universitätsschulen“.

Die damaligen Mitwirkenden sahen die Möglichkeit, in der Johannstadt einen Schulcampus mit verschiedenen Bildungsgängen zu etablieren, als gegeben und interessante Standortentwicklung. Die große Teilnahme an der Bürgerversammlung gab den Initiatoren Recht. Durch Änderungen in der Personalsituation bei den Partnern im Rathaus und der Schulverwaltung kam der Prozess ins Stocken.

Mit der Beschlussfassung im Juli 2019 durch den Dresdner Stadtrat gibt es eine neue Ausgangssituation.

  1. Gründung und Aufwuchs des Gymnasiums „Dresden Johannstadt“ am Standort Pfotenhauerstraße 42 ab dem Schuljahr 2020_21
  2. Verlagerung der 101. Oberschule als dreizügige Oberschule auf die „Cockerwiese“ bis spätestens zum August 2025

Teil Eins des Beschlusses ist mit der Gründung des Gymnasiums Dresden-Johannstadt im Objekt der 101. Oberschule „Johannes Gutenberg“ Dresden auf der Pfotenhauerstarße 42 umgesetzt.

Die Gründung wird progressiv betrieben. Dadurch setzt ein Verdrängungsprozess der Oberschule am angestammten Ort ein.

Teil Zwei wurde bis dato durch Überlegungen zu einem veränderten Standort – gemeinsamer Schulstandort mit dem Bertold-Brecht-Gymnasium auf der Dürerstraße – nicht stringent verfolgt, obwohl der extrem enge Zeitplan bekannt ist.

Der Diskurs zur Einlagerung des Gymnasiums erfolgt stets abgekoppelt von der Schulentwicklungsmöglichkeit der Oberschule – Schulzukunft von Oberschule im Prozess des Aufwachsens des Gymnasiums am Standort Pfotenhauerstraße wird nicht betrachtet, es werden lediglich Raumüberlegungen unterbreitet und durchgesetzt.

Anmerkungen und Vorschläge der Oberschule gehen in die Entscheidungsfindung nicht ein.

Erst im September 2020 gab es für die 101. Oberschule eine klare Aussage für den im Beschluss verankerten Standort an der Blüherstraße|auf der „Cockerwiese“. Die gegenwärtige Praxis zur Gebäudenutzung lässt den vertrauensbildendenden Prozess allerdings nicht mehr erkennen.

Mit der Erstellung dieses Papiers verbindet die Schulgemeinschaft der 101. Oberschule „Johannes Gutenberg“ die Hoffnung auf Unterstützung durch Politik und Verwaltung, aber auch durch Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft, um mit vereinter Kraft die Chancen eines interkulturellen Schulstandorts, ausgerichtet auf berufliche Bildung, nutzen zu können, einen Standort ohne Zurückweisung oder Verdrängung, einen Schulstandort ohne Diskriminierung aufzubauen.

Schulprogramm

Durch die veränderte Zukunftsaussicht der 101. Oberschule wird auch ein angepasstes Konzept für die Entwicklung der Schule möglich und notwendig.

Es ergeben sich Überlegungen zur Entwicklung einer autarken dreizügigen Oberschule in Kooperation mit einer neu zu gründenden benachbarten Grundschule sowie eine mögliche Zusammenarbeit mit dem bestehenden Gymnasium „Bürgerwiese“.

Hierbei wird ersichtlich, dass vorrangig die besondere inhaltliche Ausrichtung der Oberschule eine entscheidende Rolle für das Selbstverständnis spielt.

Die Oberschule leistet durch die konkrete Ausrichtung der Lehrpläne und Stundentafel bei der Entwicklung von Heranwachsenden einen entscheidenden Beitrag zur Fachkräftegewinnung.

Die praktische Orientierung, die Kompetenzentwicklung in Bezug auf arbeitsrelevante Fähigkeiten und Fertigkeiten ist in den Lehrplänen der Oberschule verankert: „Für die Oberschule ist als Leistungsauftrag bestimmt, dass sie eine allgemeine und berufsvorbereitende Bildung vermittelt und Voraussetzungen beruflicher Qualifizierung schafft. Sie bildet einen flexiblen Rahmen für individuelle Leistungsförderung, spezifische Interessen- und Neigungsentwicklung der Schüler, die Entwicklung der Ausbildungsfähigkeit und die Schaffung von Grundlagen für lebenslanges Lernen.“ [Lehrpläne| Ziele und Aufgaben der Oberschule]

Angesichts der großen Zahl von Schüler*innen mit Bedarf nach frühzeitiger finanzieller Eigenständigkeit soll der Bildungsweg Realschulabschluss – Berufsausbildung gestärkt werden.

Durch die Kommunikation der Schulart als berufsvorbereitenden Bildungsweg wird die Oberschule zu einem Identifikationsort für Schüler*innen unterschiedlicher Herkunft, Entwicklungsbedingungen sowie Lernfähigkeiten. Es ist der klare Gegenentwurf zur bisherigen gesellschaftlichen Wahrnehmung als: „Nicht für das Gymnasium geeignet“.

Unter diesem Gesichtspunkt wird Oberschule durch Schüler*innen, Eltern und Partner wieder bewusst wählbar und wird nicht als Notlösung antizipiert.

In enger Zusammenarbeit und größtmöglicher Eigenverantwortung der Schulen sollten sich Schulkonzepte an den Lebenswelten der Schüler*innen und die sich stetig verändernden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen orientieren.

Neben dem Schwerpunkt Inklusion ist vor allem der berufsvorbereitende Charakter der Oberschule herauszustreichen.

Vision 2025

Ausgehend vom Bildungs- und Erziehungsauftrag sowie den Lehrplänen der Oberschule wird der beruflichen Orientierung in der vorbereitenden Planung verstärkt Augenmerk eingeräumt.

Dies betrifft nicht nur organisatorische Entscheidungen bezüglich der Umsetzung der Stundentafeln, sondern vor allem sächlich-räumliche Überlegungen für die Anordnung und Ausstattung der Lehrbereiche.

Die Grundidee leitet sich von den Lehrplänen der Oberschule ab sowie einer fachübergreifenden Unterrichtung in Kleinprojekten, ohne den Charakter der einzelnen Fachbereiche auflösen zu wollen.

Der praktisch-orientierte Unterricht bedeutet nicht nur für die Oberschüler an sich, sondern speziell für mehrsprachig aufwachsende Schüler*innen ein enormes unterstützendes Lernangebot. Praktisch erworbenes Wissen sowie die damit verbundenen Kompetenzen bleiben länger abrufbar, verstetigen sich besser und sind aktiver übertragbar auf unbekannte Lernsituationen.

Dieser Grundidee wird Rechnung getragen durch ein Werkstattprinzip. Werkstätten (ausgehend vom Lehrplan) könnten sein: Tischlerei, Spenglerei<Klempnerei, Dreherei, Näherei, Druckerei|Copyshop, Elektro-|Elektronikwerkstatt (Fahrzeugelektrik oder Haustechnik), Malerwerkstatt, Hausmeisterdienste|Entsorgung, Gartenbau|Umweltwirtschaft, Finanz-Dienstleister, Gastronomie|Hotelerie

Die 101. Oberschule hat bereits folgende Werkstätten begonnen, aufzubauen:

  • Druckwerkstatt,
  • Buchbinderei,
  • Nähwerkstatt,
  • „Bistro“ (Schülerfirma).

Weiterhin sind am Standort eine Lehrküche, 3 traditionelle Werkräume und eine Keramikwerkstatt eingerichtet.

Organisatorisch auf der Basis der Stundentafel ergeben sich folgende Eckpunkte:

Klassenstufe Wochenstunde Gesamtstunden im Monat 14-Tage-Rhythmus Monatsrhythmus
5 2 8 2 x 4 UE 1 x 8 UE
6 1 1 x 4 UE
7 8 2 x 4 UE 1 x 8 UE
8 3 12 2 x 6 UE
9 3 12 2 x 6 UE

Bei einer dreizügigen Oberschule errechnet sich folgendes Stundenvolumen:

Klassenstufe Wochenstunde Gesamtstunden im Monat 14-Tage-Rhythmus Monatsrhythmus
5 6 24 2 x 4 UE 1 x 8 UE
6 3 12 1 x 4 UE
7 6 24 2 x 4 UE 1 x 8 UE
8 9 36 2 x 6 UE  
9 9 36 2 x 6 UE  
Gesamt 33 132    

Da dieser Unterricht in Gruppen à max. 16 Schüler*innen stattfindet, ergeben sich folgende benötigte Wochenstunden:

Bei Halbierung der Klassen: 30 Gruppen 72 Wochenstunden
Bei rechnerischer Teilung (Mischgruppen) 27 Gruppen* nur planbar mit der konkreten Klassensituation

*|angenommen wurde die Klassenobergrenze mit 28 Schüler*innen.

Belegung der Werkstätten auf der Basis der Lehrpläne

Klassenstufe Werkstatt  
5 Tischlerei, Dreherei,  
6 Tischlerei, Dreherei, Technische Zeichnung, Druckerei (digital)  
7 Tischlerei, Näherei, Finanz-Dienstleister  
8 Tischlerei, Spenglerei, Malerwerkstatt, Gartenbau, Gastronomie  
9 Elektro- Elektronikwerkstatt, Finanz-Dienstleister, Malerwerkstatt, Gartenbau

Auslastung der Werkstätten

Je Werkstatt sind max. 8 UE planbar (2 Schichten á 4 UE), minimal aber 6 UE.

Wenn wir mit 10 Werkstätten ansetzen, sind 72 UE gut abzusichern und es ergibt sich eine Überhangkapazität, die andern Oberschulen zur Verfügung gestellt werden kann.

Zieht man zusätzlich einen halbjährlichen Wechsel innerhalb der Klassenstufe in Betracht, können alle Schüler*innen im Laufe ihrer Schulzeit diese 10 Angebote nutzen.

Pro Tag sind max. 80 UE aktive, interessante Berufsorientierung innerhalb des Unterrichtes möglich. Rechnet man dies für die Woche hoch, stünden 400 Unterrichtsstunden Berufsorientierungszuwachs zur Verfügung. Davon können 320 Unterrichtseinheiten durch andere Oberschulen genutzt werden. Dies stellt die Kapazität von 4 dreizügigen Oberschulen dar.

Es bildet sich eine interessante Reichweite für die Verbände und Kammern, vielleicht auch Einzelunternehmen, ab, die in eine Kooperation treten möchten.

Ausstattung der Werkstätten

Durch eine anzustrebende Kooperation mit den Kammern oder Einzelunternehmen sollte eine Ausstattung gelingen, die sich am Markt orientiert und sowohl Werkzeuge für den privaten Gebrauch vorstellt, als auch den handwerklichen bzw. industriellen Bezug herstellt.

Personalbedarf

Grundsätzlich wird der Unterricht durch pädagogisches Personal geleitet, welches sich aus der Lehrerschaft der Schule rekrutiert.

Ein Optimum wird durch die Beiordnung von Handwerksmeistern (Altmeister) oder Vorarbeitern zumindest in projektbezogenen Aufgabenstellungen erreicht.

Mehrwert für Schüler*innen

Der werkstattunterstützende Unterricht bedeutet eine berufliche Orientierung, die nicht additiv angesetzt wird, sondern sich permanent durch das Unterrichtsgeschehen verstetigt. Somit können Schüler*innen praktische Erfahrungswerte aufbauen. Die Einstellung zu den eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten beeinflusst in hohem Maße die eigenen Emotionen und Denkweisen, das gesamte Handeln und auch den persönlichen Erfolg in jedem Bereich. Diese positive Selbstwahrnehmung wiederum ist notwendige Basis für Motiventwicklung, aktive Wahlmöglichkeiten und Zukunftsorientierung.

Mehrwert für Eltern

Oberschule kann als gleichwertiger Bildungsgang zum Gymnasium gesehen werden, da es stringent auf berufliche Bildung abzielt. Es werden Kenntnisse und Fertigkeiten vermittelt, die ein Gymnasium aufgrund der Orientierung auf das Studium nicht vermittelt aber einen Mehrwert für die Persönlichkeitsentwicklung ihrer Kinder bietet.

Mehrwert für Lehrer*innen

Durch praktische Erfahrungen werden Lernerfolge generiert, die Selbstwirksamkeit bildet sich stärker aus. Lernprozesse werden durch Schüler*innen nicht als Belastung gesehen, sondern machen Neugier auf weiteres. Für Lehrer*innen eine ausgesprochen komfortable Ausgangssituation, um individuelle Lernbeziehungen erfolgreich gestalten zu können. Die Verknüpfung von Lehrer (fachbezogene Kompetenzen) und Pädagoge (soziale Kompetenzen) gestaltet sich für die Lehrperson in einem solchen Setting sinnstiftend.

Mehrwert für die Stadt und den städtischen Wirtschaftsraum 

Betrachtet man die Schülerschaft der 101. Oberschule, erkennt man schnell, dass nicht nur ein Bildungs- und Erziehungsauftrag, vorgegeben durch die gesetzlichen Rahmenbedingungen des Schulgesetzes und der Oberschulordnung umgesetzt wird, sondern, dass der große Rahmen „Inklusive Schule“ heißt.

Die große Diversität der Schülerschaft bedingt einen hohen Grad individualisierter Lernwege.

Die Methode der praktischen Aneignung von Bildungsinhalten ist dabei eine Stütze, da sich durch „Begreifen“ nicht nur Bildungsinhalte verfestigen, sondern sich ursächlich Bildungssprache entwickelt. 

Die Verknüpfung von kognitiven Fähigkeiten mit praktischen Fertigkeiten regt zusätzlich selbstwirksames Lernen an, da eine positive Selbstwahrnehmung die Folge ist. Dadurch verstärken sich Motive und Motivation, steigt die Möglichkeit einer gefestigten Zielorientierung und selbstgesteuerter Lernprozesse.

Oberschüler, wie auch mehrsprachig aufwachsende Oberschüler, lernen sinnhaft, erleben die Vielfalt des Lernens nicht als negativ behaftet sondern als Chance und erfahren somit Wertschätzung. Erfolgreiche Schulabschlüsse mit sich anschließenden interessanten beruflichen Ausbildungen und Anschlussmöglichkeiten steigern den Wert eines Realschulabschlusses in der Wahrnehmung der Gesellschaft und wirken sich wiederum auf Wertschöpfungsprozesse aus.

Die Kammern verstehen die Kooperation als aktive Investition in die eigene Branche und Absicherung des Fachkräftebedarfs.

Die Absolventen der 101. Oberschule erweiterten somit nicht nur den Kenntnisbereich bezüglich verschiedener Gewerke und Branchen, sondern bringen eine enorme Sozialkompetenz im Hinblick auf Integration, Teamfähigkeit und Durchhaltevermögen mit.