Auf der Aulabühne steht am 6. September ein Schild mit der Aufschrift „AGENTUR MENSCH ABER WIE“. Daneben fünf leere Stühle. Die Schülerinnen und Schüler der 9. Klassen und der Hauptschulgruppe 8 erwarten an diesem Freitagvormittag eine Podiumsdiskussion zum Thema Gewalt. Mal wieder reden andere über dieses Thema und man soll nur zuhören, immerhin fallen dafür drei reguläre Unterrichtsstunden aus. Aber weit gefehlt.
Auf den Stühlen nehmen jetzt die Diskussionsteilnehmer Platz. Drei Männer und zwei Frauen sollen etwas zu ihren persönlichen Gewalterfahrungen berichten. Zuerst positionieren sie sich zum Begriff Gewalt. Einige Schüler versinken gelangweilt in Tagträumereien. Aber dann kommt als Letzter Richard an die Reihe. Er erzählt, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, in einer Sprache die die Jugendlichen verstehen. Richard spricht die Jugendlichen direkt an, provoziert die anderen Diskussionsteilnehmer und schildert seine Gewalterfahrungen sehr plastisch. Die Jugendlichen erfahren, dass einer seiner Freunde mit Migrationshintergrund wie er selbst bei einem Angriff von Rechtsradikalen schwer verletzt wurde und heute im Rollstuhl sitzt. Er lässt sich selbst daher nichts mehr gefallen und wurde bereits wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt verhaftet.
Als nächste wird die 15jährige Nicole vom Diskussionsleiter aufgefordert, ihre Geschichte zu erzählen. Sie weiß eigentlich gar nicht so genau, warum sie vom Jugendgericht die Auflage zur Teilnahme an dieser Gesprächsrunde erhalten hat. Schließlich kann sie selbst ja nichts dafür, dass sich eine ihrer Mitschülerinnen aus dem Fenster in den Tod gestürzt hat. Nicole hat ihr doch nur das ins Gesicht gesagt, was für alle offensichtlich war. Das Mädchen war eine fette Sau und duschen hätte sie ruhig auch mal können. Sie ist doch selbst schuld, wenn sie sich mit dieser Figur ins Schwimmbad legt. Das posten eines Fotos von ihr auf der Facebookseite der Schule sei doch nun wirklich kein Mobbing, sondern saulustig gewesen. Spätestens an dieser Stelle sind alle Schülerinnen und Schüler mit vollster Aufmerksamkeit dabei. Einige Schülerinnen sind so berührt, dass sie ihre Emotionen nur schwer zurückhalten können.
Dann steht Herr Baumann auf. Er ist einmal leidenschaftlich gern Lehrer gewesen. Doch das Desinteresse und die Respektlosigkeit seiner Schülerinnen und Schüler haben ihn so sehr frustriert, dass er einen von ihnen zusammenschlägt, nachdem dieser seinen Anweisungen nicht nachgekommen ist. Herr Baumann wurde strafversetzt und befindet sich in einer Psychotherapie, deren Auflage die Teilnahme an dieser Gesprächsrunde ist.
Klaus Lützek stellt sich den Schülern als Nächster vor. Er wurde zu 30 Monaten Haft verurteilt, weil er ein asiatisches Geschäft zerstört hat und mehrere Personen dabei schwer verletzt hat. Doch von Reue keine Spur. Vielmehr versucht er seine Tat mit der zunehmenden Überfremdung Deutschlands zu rechtfertigen. Einige Schüler im Raum halten geschockt den Atem an, dass diese Meinung so offen zur Schau gestellt werden darf.
Als letzte in der Runde erzählt Kathrin Wollschlägern, dass sie nie wieder helfen würde, Gewalt zu verhindern. Denn als sie einer Frau beistehen wollte, ist sie selbst schwer verletzt wurden. Es lohnt sich nicht, sich einzumischen. Sie warnt die Anwesenden sogar eindringlich davor.
Zu einem Eklat kommt es dann, als die Diskussion beginnen soll. Richard hält es nicht mehr auf der Bühne aus. Er fühlt sich durch die Reden des Klaus Lützek provoziert und verlässt unter lautstarkem Protest die Aula. Kurzerhand fordert der Diskussionsleiter die Schülerinnen und Schüler auf, individuell mit den Diskussionsteilnehmern zu sprechen. Und fast alle machen von dieser Möglichkeit Gebrauch. Es bilden sich sehr schnell fünf Schülertrauben um die einzelnen Akteure. An der einen Stelle ruhig, an anderer Stelle eher hitzig kommt man ins Gespräch. Wie nebenbei füllen dabei einzelne Schüler einen Bewertungsbogen zu den Diskussionsteilnehmern aus und stellen diesen im Anschluss ihren Mitschülern vor. Dabei bekunden sie ihre Sympathien und geben ihnen wie selbstverständlich individuelle Tipps zum Umgang mit Gewalt auf den Weg.
Dann kommt die große Überraschung. Alle Akteure auf der Bühne sind Schauspieler! In diesem Moment hätte man die berühmte Stecknadel auf den Boden der Aula fallen hören können. Die geschilderten Gewalttaten sind aber keine Fiktion, sondern real verübte Straftaten. Im Auftrag der Unfallkasse Sachsen tourt das „theatertill“ aus Düsseldorf durch die Schulen, um diese besondere Form der Gewaltprävention durchzuführen. Eindrücklicher hätte man die Botschaft kaum präsentieren können. Gewalt löst keine Probleme, sondern verstärkt sie nur. Die sehr gelungene Veranstaltung dazu wurde mit lautstarkem Applaus gewürdigt und ganz sicher allen Anwesenden in der Aula in lebhafter Erinnerung bleiben.
Damit die Schülerinnen und Schüler mit ihren ausgelösten Emotionen nicht allein gelassen werden, gab es im Anschluss in den Klassenverbänden noch einmal ausführlich die Möglichkeit, das eben Erlebte aufzuarbeiten.
[Text, Bilder: G. Münz]