Am 14.11.1931 erschien in der "Oschatzer Allgemeinnützige" unter der Überschrift "Bürgermeister i. R. Härtwig gestorben" folgender Artikel:
"Härtwig war Konservativer strengster Observanz und stand infolgedessen allen fortschrittlichen Tendenzen ablehnend, ja feindlich gegenüber, so dass die Geschichte seiner Oschatzer Bürgermeistertätigkeit von wiederholten Differenzen zwischen ihm und den liberalen Elementen erfüllt ist…"
Das, was man hier lesen kann, steht sicherlich in großem Widerspruch zu dem, was unsere Schüler in ihrer Bewertung der Person Härtwigs gefunden haben. Und unsere Schule soll diesen Namen bekommen?
Unsere Nachforschungen zum Leben Roberts Härtwigs haben gerade erst begonnen, vieles aus seinem Werdegang kann man an Jahreszahlen festmachen. Anderes wird sich uns erst erschließen müssen. In einem Punkt sind wir uns aber ziemlich sicher. Robert Härtwig war ein Mensch, der von seiner bewegenden Zeit, in der er gelebt hat, geprägt wurde.
Das Deutschland des 19. Jahrhunderts kennzeichnete sein Aufwachsen, seine Erziehung, seine Tätigkeit, sein Denken und Handeln und seine Wertvorstellungen, seine Wahrnehmung von falsch und richtig. Wir denken, dass wir Robert Härtwig nur bedingt an und mit heutigen Maßstäben messen können. Wir müssen heutige Erkenntnisse über damalige Verhältnisse und politische Zustände teilweise ausblenden, weil Härtwig diese so nicht kannte. Wir sollten mit den Augen dieser Zeit schauen.
Das Deutschland des 19. Jahrhunderts war ein Deutschland auf der Suche nach sich selbst, getragen von dem festen Willen seiner Bevölkerung nach einem einheitlichen, starken Nationalstaat. Es ist ein Abschnitt in der deutschen Geschichte, in der Kriege und Revolutionen und industrielle Umwälzungen zum Tragen kamen. Die industrielle Umwälzung veränderte mit der wirtschaftlichen Entwicklung auch die soziale und politische Lage in Deutschland entscheidend. Parteien entstanden und entwickelten Programme, die von unterschiedlichen Standpunkten aus Antworten auf Probleme der Industriegesellschaft zu geben versuchten.
Das Kaiserreich von 1871 brachte die lang ersehnte nationale Einheit. Es wurde aber auch "nur" eine Einheit "von oben", die gekennzeichnet war durch die absolute Macht des Kaisers und seines Reichskanzlers Bismarck, durch ein politisches Übergewicht Preußens in diesem Reich (Preußen stand für Militarismus, für Königstreue, für Ergebenheit, für Dreiklassenwahlrecht …).
Viele Hoffnungen und Wünsche der liberalen Bewegungen blieben offen, weil genau diese Hoffnungen und Wünsche nicht konform gingen mit dem, was den politischen Anspruch des Kaiserreiches ausmachte. Und in dieser Zeit erlebte Robert Härtwig seine Jugend, entschloss sich für den juristischen Werdegang und trat in den königlich-sächsischen Staatsdienst ein, um dann die Person zu werden, als die wir ihn heute kennen – als Bürgermeister von Oschatz.
Wir konnten bei unseren Nachforschungen im Stadtarchiv schon über ihn lesen, dass ihn Zeitgenossen als politisch sehr konservativ und monarchietreu einschätzten. Sie schilderten ihn aber auch als beharrlich, eisern und sehr fleißig, voller Liebe und Anhänglichkeit, wenn es um seinen Einsatz für unsere Stadt ging. Superindent Dr. Flade schrieb über Härtwig, dass "….sein Sinn knorrig wie die Eiche sei, wie diese nicht leicht zu beugen sein Wille ...".
Ist das als unangenehm zu bewerten, wenn gerade davon Veränderungen in der Stadt abhingen, die wir heute noch sehen und nutzen? Ist es nicht als "Kompliment" einzuordnen, wenn Andersdenkende zu der Erkenntnis kommen, "... dass auch ein konservativer Mann wohl willens und fähig sei, … Segen zu spenden."?
Sie sehen, wir haben also einen möglichen Namensgeber für unsere Schule gefunden, der als Persönlichkeit nicht einfach zu beschreiben ist und in nur ein bestimmtes Raster passt. Robert Härtwig ist jemand, der aus unserer heutigen Sicht, nach dem Maßstäben des 21. Jahrhunderts voller Widersprüche steckte und es trotzdem wert ist, dass wir uns an ihn erinnern, denn der am Anfang zitierte Nachruf auf das Ableben Robert Härtwigs endet wie folgt:
" ... Die Gerechtigkeit gebührt aber festzustellen, dass sich der Verstorbene dessen ungeachtet unschätzbare Verdienste um die seiner Leitung anvertraute Stadt erworben hat."
(AK)